Was ist das Alevitentum?

An dieser Stelle wollen wir basierend auf verschiedenen Quellen das Alevitentum genauer vorstellen und definieren. Es sei aber vorab erwähnt, dass dies kein einfaches Unterfangen ist und eine eindeutige Kategorisierung und Zuordnung des Alevitentums nicht möglich ist – so wird das Alevitentum etwa häufig  als Konfession des Islams betrachtet, was  religionswissenschaftlicher aber keinesfalls zutrifft.

Aleviten leben nicht nur in der Türkei, sondern auch in den Balkan-Ländern und in einigen Arabischen Staaten .Rund ein Drittel der in Türkei lebenden 66 Millionen Menschen gehören diesem Glauben an. Natürlich gibt es auch Christen, Juden und Andersgläubige, die jedoch ca. 2% ausmachen.

Die Aleviten konnten aufgrund ihrer „Minderheitenrolle “ bis heute weder ihre 1400 jährige Kultur und Religion frei ausüben noch damit in die Öffentlichkeit treten. Sogar heute noch darf in der Türkei kein Verein oder eine Kultureinrichtung unter einem ‚Alevitischen‘ Namen eröffnet werden, weiterhin wird die alevitische Konfession offiziel nicht anerkannt. Dagegen wird aber die sunnitische Konfession durch den Staat mit Hilfe von staatlichen Finanzmitteln (Steuereinnahmen) und dem ‚Amt für religiöse Angelegenheiten ‚ (Diyanet Isleri) stark gefördert.

Das ‚plötzliche‘ Auftreten der Aleviten in jüngster Zeit ist darauf zurückzuführen, daß sie wieder Opfer zunehmender Gewalt von türkischen Fundamentalisten und Rechtsradikalen geworden sind. Zu diesen Gewalttaten gehört z.B der Brandanschlag der Fundamentalisten in Sivas /Türkei im Juli 1993, wobei 37 Intellektuelle und Künstler ermordet worden sind. Auch der feige rechtsradikale Angriff auf alevitische Teehäuser in Istanbul im März 1995 forderte fünf Tote. Auf den darauf folgenden Protest-Demonstrationen ist die Anzahl der Toten auf ca. 30 gestiegen.

Begriffserklärung: Woher kommt der Name „Alevi“?

Zunächst ein kleiner etymologischer Exkurs (Etymologie ist die Wissenschaft der Wortherkunft).

Die Bezeichnung „alevi“ ist relativ neu und wurde im 19. Jahrhundert erstmalig verwendet.  Nach historischen Dokumenten aus dem 16. Jahrhundert wurde vorwiegend der Begriff „Qizilbash“ (Kizilbasch, Qizilbasch, Qizilbāš; modernes türkisch Kızılbaş ‚Rotköpfe‘) benutzt.

Es gibt zwei Theorien zu der Wortherkunft von „Alevi“:

  1. Es drückt die Zugehörigkeit zu Hz. Ali aus und bezeichnet somit die Anhänger Ali`s
  2. Es leitet sich aus dem Wort persisch-kurdischen Wort „alaw“  (türkisch „alev“), was mit „Feuer“ oder „Flamme“ übersetzt werden kann und die wichtige Bedeutung des Feuers im alevitischen Glauben widerspiegelt. Dieser Punkt ist naheliegend, wird aber häufig in der Literatur außer Acht gelassen)

Die Bezeichnung „Alevi“ als Neuorientierung

Aleviten bzw, Qizilbash waren von jeher Vorurteilen, Unterdrückung und Verfolgung ausgesetzt und wurden/werden von vielen orthodoxen Muslimen als Häratiker (Ungläubige)  angesehen. Entsprechend war die Bezeichnung „Qizilbash“ sehr negativ behaftet und in einem abwertenden Kontext gebraucht.

Aus diesem Grund geht man davon aus, dass die Bezeichnung „alevi“ quasi einen Neustart  in der gesellschaftlichen Identitätsfindung: Die Qizilbash sollen durch eine Namensänderung eine neue Identität erwerben und gleichzeitig eine gewisse Anerkennung innerhalb der muslimisch dominierten türkischen Gesellschaft zu erlangen, um weitere Diskriminierug, Diskreditierung, Demütigung und Massakrierung zu verhindern:

„Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts begann im offiziellen Sprachgebrauch der Osmanen die Bezeichnung Alevi den Namen Qizilbash zu verdrängen. Letzterer wird als Eigenbezeichnung auch von den Mitgliedern der hier darzustellenden Glaubensgemeinschaft bevorzugt, wohl aus dem Bedürfnis heraus, den stark negativ besetzten Begriff Qizilbas zu vermeiden.“ (Kehl-Bodrogi 1988: S.9)

Vorurteile gegenüber Aleviten halten an

Diese Neuorientierung hatte leider keinen wirklichen Erfolg – die Bezeichnung „alevi“ wurde in der türkischen Gesellschaft genauso stigmatisiert, Aleviten wurden diskriminiert, verfolgt und mussten ihren Glauben im Verborgenen ausüben.

An dieser Stelle sei dafür folgendes Beispiel angebracht: Unter Sunniten in der Türkei – und auch unter sunnitischen Migranten in Deutschland – kursiert die Vorstellung, dass im alevitischen Ritual cem zu einem bestimmten Zeitpunkt die „Kerzen gelöscht“ werden (mum söndürmek), und dass dann in der Dunkelheit inzestuöse Orgien gefeiert werden, in denen auch vor Geschlechtsverkehr mit der eigenen Mutter und Schwester nicht zurück geschreckt wird. „Ana bacı tanımaz“ lautet die gängige Formulierung, „sie kennen weder Mutter noch Schwester.“ Dass diese Vorwürfe – außerhalb der fehlgeleiteten Imagination mancher nicht-Aleviten – jeglicher Grundlage entbehren, sollte eigentlich nicht mehr extra betont werden müssen. [1]

Laut mündlicher Überlieferung unserer älteren Gemeindemitglieder, kann ein möglicher Grund für solche Verleumdungen der sein, dass das Alevitentum religiöse Rituale oft im Verborgenen halten mussten und daher eine Kerze quasi als Zeichen dafür verwendeten, ob sich Fremde in Anmarsch waren – brannte die Kerze war alles in Ordnung, wurde die Kerze gelöscht sollte man sich in Acht nehmen. Dies als mögliche Erklärung neben der Tatsache, dass das Anzünden von Kerzen fester Bestandteile alevitischer Glaubensrituale ist.

 

Die Geschichte des Alevitentums

Ein kurzer geschichtlicher Überblick

Das Alevitentum ist eine Konfession, die aus Gläubigen sowohl kurdischer, als auch türkischer Herkunft besteht. Der alevitische Glaube ist ein Synkretismus (Vermischung religiöser Traditionen) und besteht aus

  • vorderasiatischen,
  • zarathrustrischen [Zoroastrismus ist eine altpersische Religion – sie gilt als erste montheistische Religion und ihre religiöse Maxime lautet „Gute Gedanken, gute Worte, gute Taten“ – was eine große Ähnlichkeit zum Grundpfeiler des Alevitentums „eline, beline, dilini sahop ol“ – Beherrsche deine Hände (Taten), deine Lenden (Triebe, insbesondere sexueller Natur) und deine Zunge (Worte)]
  • manchaästischen (Der Manichäismus ist einer antiken Religion, nach der Gott in allen Erscheinungen des Lebens vorkommt und nicht personalisiert ist)
  • schamanistschen, naturreligösen

Elementen, die es über den Lauf der Zeit in sich vereint hat.

Dementsprechend ist es schwierig den Beginn des Alevitentums als solches auszumachen. Der Soziologe Haki Gürtas etwa sieht den Ursprung des alevitischen Glaubens im Zoroastrismus und entstand zwischen 1800 v.Chr.  und 600 v.Chr. im heutigen Iran (Zum Vergleich – der Islam entstand im 7. Jahrhundert n.Chr.).

Die Islamisierung des persischen Reiches und später mit der Eroberung des byzantischen Reichs im 11. Jahrhundert auch Anatoliens führte zu einer enormen Veränderung der zarathrustischen und aller dort zu der Zeit vorherrschenden Religionen. So gehörten viele Turkvölker bis zum 10. Jahrhundert noch überwiegend dem Schamanismus an, ehe sie sich allmählich dem Islam anschlossen.[2]

 

 

[1] Sökefeld (2015) Aleviten in Deutschland, S.8

[2] Aksünger-Kizil & Kahraman (2018) Das anatolische Alevitentum, S. 16

 

 

 


Über folgende Links gelangen Sie zu PDF-Dokumenten von Ismail Kaplan (Bildungsbeauftragter der AABF Alevitische Gemeinde Deutschland e.V.)